Unklarer Infektionsstatus, sich ständig ändernde Krankheitsbilder durch Mutationen, Resistenzen gegen Antibiotika lassen die Zahl der Infektionstransporte steigen und erhöhen den Handlungsdruck bei der notwendigen Infektionsprävention im Rettungswesen. Auch die Hersteller des Equipments im Rettungstransport und Ausstatter von Rettungsfahrzeugen sind gefordert, praktikable technische Lösungen im Infektionsschutz zu bieten.
Im Gespräch: Florian Krahe (Mitarbeiter eines Gesundheitsamtes in der Abteilung Hygiene und Infektionsschutz, nebenberuflicher Dozent für den Bereich Hygiene und Infektionsschutz „Krahe-Hygiene“, Fachprüfer an einer Lehranstalt für Desinfektoren) und Dan F. Schragen (Vertriebsleiter von Schnitzler Rettungsprodukte).
Florian Krahe
Dan F. Schragen
Neue Herausforderungen an die Hygiene im Rettungsdienst
Warum spielt das Thema Hygiene im Rettungsdienst aktuell so eine große Rolle?
Florian Krahe: Der Handlungsdruck im Bereich der Hygiene und des Infektionsschutzes ist stark gewachsen, zum Beispiel dadurch, dass sich die Krankheitsbilder der viralen Erkrankungen wie z. B. der Influenza oder das Norovirus ändern. Außerdem trifft man im Rettungsdienst immer häufiger auf Patienten mit einem unklaren Infektionsstatus.
Das bedeutet aber auch, dass das rechtzeitige und korrekte Erkennen dieser Krankheitsbilder und damit auch das Einleiten geeigneter Hygienemaßnahmen zur Infektionsprävention schwieriger wird. Es gibt immer mehr Patienten, die resistent gegen Antibiotika sind – Stichwort 3-/4-MRGN. Antibiotika gehören zu den wichtigsten Arzneimitteln, jedoch nimmt die Zahl resistenter Keime und die damit verbundenen Infektionskrankheiten zu. Trotzdem werden kaum neue Wirkstoffe entwickelt.
Das hat Auswirkungen auf den Rettungsdienst durch die Zunahme an Infektionstransporten. Stichworte sind hier zum Beispiel Eigenschutz des Personals, Nicht-Verbreitung von Krankheitserregern von einer Fahrt zu nächsten, Aufbereitung bzw. Desinfektion von Fahrzeug und Ausstattung als Vorbereitung für den nächsten Einsatz. Die Diskussion betrifft auch den nicht-qualifizierten Krankentransport.
Beeinflusst das auch die Anzahl der Infektionstransporte?
Florian Krahe: Definitiv. Die Zahl der Infektionstransporte hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen und wird auch weiterhin zunehmen. Auch durch die Spezialisierung auf bestimmte Untersuchungen und Therapien der Kliniken ist die Verlegesituation häufiger gegeben oder Patienten werden von Krankenhaus A zur Untersuchung zum Krankenhaus B gefahren.
Rettungsdienste erhalten doch vor einem Transport Hinweise auf eine mögliche Infektion des Patienten?
Florian Krahe: Bei der Bestellung von Krankentransporten oder Verlegungen wird der Infektionsstatus durch den Disponenten der Leitstelle abgefragt. Ausnahmen bestätigen hier leider die Regel, da es auch immer wieder Situationen gibt, in denen ein falscher Infektionsstatus mitgeteilt wird.
Oft bleibt im Krankenhaus oder der Arztpraxis aber nicht genug Zeit zu prüfen, ob Patienten infiziert sind. Es herrscht Personalmangel und dadurch extremer Zeitdruck. Aber auch auf dem Rettungswagen braucht es genug qualifiziertes Personal, das die hygienischen Anforderungen umsetzt und den Rettungswagen auf den nächsten Patiententransport vorbereitet. Bei Notfallsituationen zum Beispiel bei schweren Unfällen ist eine schnelle Prüfung auf Vorliegen einer Infektion naturgemäß schwer möglich.
Der Verdacht einer Infektion liegt nahe, z. B. wenn eine Person schon am Einsatzort hohes Fieber hat oder weitere Symptome aufweist, die auf eine Infektionskrankheit hinweisen können oder eine entsprechende Reiseanamnese haben.
Was bedeutet die aktuelle Entwicklung für die Hersteller des Equipments im Rettungstransport und für Ausstatter von Rettungsfahrzeugen?
Dan F. Schragen: Die Optimierung der eingesetzten Materialien ist eine der Herausforderungen für die Industrie. Fahrzeuge und die Ausstattung sind heute oft 24 Stunden schichtübergreifend unterwegs. Nach jedem Einsatz muss alles schnell und wirksam gereinigt werden können, von Oberflächen im Fahrzeug bis zur Tragenauflage und den Gurten.
Das stellt auch höhere Anforderungen an Materialen selbst z. B. an die Beständigkeit gegen Desinfektionsmittel, denn standardmäßig werden Gurte, Tragenauflage, Trage und die anderen relevanten Oberflächen im Fahrzeug wischdesinfiziert.
Florian Krahe: Zeitmanagement ist ebenso ein Aspekt. Nehmen wir den Fall Verschmutzung der Tragenauflage und Gurte z. B. durch Ausscheidungen wie Erbrechen oder Blut. Das Gurtmaterial saugt sich voll Flüssigkeit. Gerade im Kopf-, Arm- oder Bauchbereich des Patienten gibt es die häufigsten Verunreinigungen.
Eine sorgfältige Reinigung, Desinfektion und Trocknung der Gurte braucht Zeit. Besonders aus Schlaufen, die beim Anschnallen des Patienten entstehen, lassen sich Verunreinigungen nur schwer entfernen. Da bleibt in den meisten Fällen etwas zurück. Oft werden dann aus Mangel an Zeit verunreinigte Gurtsysteme weggeworfen. Auch der Anschnallvorhang des Patienten selbst kostet Zeit.
Speziell die Hersteller von Rettungstragen haben reagiert.
Dan F. Schragen: Wir haben, wie andere Hersteller auch, vollversiegelte Gurte entwickelt, die sich leichter reinigen und desinfizieren lassen. Eine erste Version war keine optimale Lösung, denn die Versiegelung machte die Gurte schwergängig und weniger flexibel. Es brauchte länger, um den Patienten anzuschnallen. Ebenso scheuerte mit der Zeit die Versiegelung an der Seite ab, weißliche Stellen wurden im Gurtinneren sichtbar, der Gurt faserte auf.
Das war Anlass für Schnitzler Rettungsprodukte, noch einmal ein komplett neues Gurtsystem zu entwickeln?
Dan F. Schragen: Durch die von uns neu entwickelte patentierte Zunge lässt sich das Gurtband bei der Einstellung leichter ziehen und durch eine zusätzliche Verschweißung des Gurtes an den Rändern gibt es kein Auffasern mehr.
Das bedeutet für das Handling im Rettungseinsatz: Die Gurte werden zusätzlich nicht mehr an der Trage angeschlauft, sondern mit Ausklinkbeschlägen an den dafür vorgesehen Halterungen an den Tragen (im Lieferumfang enthalten) schnell und unkompliziert eingeklinkt.
Der Wechsel von stark verunreinigten Gurtbestandteile wird so schneller und einfacher möglich. Der Gurt kann schnell gereinigt und desinfiziert werden, da das Gurtsystem nicht saugfähig ist. Das ermöglicht eine sehr kurze Trocknungsphase. Gleichzeitig bleibt die automatische Aufrollfunktion des Gurtmechanismus (z. B. der Automatik-Schultergurte) erhalten.
Wie wirkt sich das neue System auf den Preis aus?
Dan F. Schragen: Der etwas höhere Preis für unser System amortisiert sich sehr schnell. Denn es wird sowohl beim Anschnallen des Patienten, beim Wechsel der Gurte und auch bei der Reinigung deutlich Zeit gespart. Zusätzlicher Vorteil unserer Systeme ist es, dass jeder Gurtbestandteil (Einzelteile) separat bestellt werden kann.
Stichwort Investitionssicherheit: Was ist Ihr Feedback aus der Praxis im Rettungseinsatz?
Dan F. Schragen: Die mittlerweile auch zum Patent angemeldeten Gurtsysteme sind über zwei Jahre im Rettungsdienst intensiv getestet worden und haben die Anwender in punkto Haltbarkeit und beim Handling im harten Tagesgeschäft überzeugt. Auch bei Sitzendtransporten mit Tragestühlen und -sesseln im Krankentransport und Rettungsdienst kommen sie mittlerweile zum Einsatz.
Wo stellen Sie die Gurtsysteme her?
Dan F. Schragen: Wie alle Produkte produzieren wir auch die Gurte am Firmenstandort in Niederkassel bei Bonn.
Florian Krahe: Relevant ist aber nicht nur die leicht desinfizierbare Ausstattung. Wichtig ist genauso, dass das Personal schon im Rahmen der Ausbildung intensiv mit dem Thema Hygiene befasst wird z. B. bei der Ausbildung zum Notfallsanitäter.
Welche Vorgaben gibt es hier und woran müssen sich die Mitarbeiter im Rettungseinsatz bei ihrer Arbeit orientieren?
Florian Krahe: Es gibt Regeln gemeinsam für Rettungsdienst und qualifizierten Krankentransport z. B. die bundesweit gültige TRBA 250, die „Technischen Regeln für Biologische Arbeitsstoffe“. Diese werden vom Ausschuss für Biologische Arbeitsstoffe ABAS ermittelt, angepasst und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales bekanntgegeben. Ein wichtiger „roter Faden“ sind auch die aktuellen Leitlinien der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO), welche vom Robert Koch-Institut (RKI) herausgegeben werden.
Und was gilt auf lokaler Ebene, also für den Rettungsdienst vor Ort?
Florian Krahe: Rettungsdienst ist Ländersache und somit hat jedes Bundesland sein eigenes Gesetz, welches die Organisation des Rettungsdienstes regelt. Der Träger rettungsdienstlicher Aufgaben hat sich zum Beispiel zu vergewissern, dass ordnungsgemäße hygienische Verhältnisse einschließlich einer sachgerechten Desinfektion und Dekontamination im Betrieb sichergestellt sind.
Neben der persönlichen Schutzausrüstung zum Schutz der Einsatzkräfte betrifft dies zum Beispiel die Desinfektion von Flächen innerhalb des Rettungswagens, aber auch die schon angesprochenen Oberflächen der Fahrtragen, Tragenauflagen und Gurte für den Patienten.
Krahe Hygiene Bonn
TRBA 250 Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege
Veröffentlichung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO)
Veröffentlichung des Robert-Koch-Instituts
Weitere Informationen
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